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Das Protokoll einer etwas anderen Beauty-OP

Cosmopolitan
August 2009

LIPPENBEKENNTNIS

von Petra Harms

Es riecht nach verbranntem Fleisch und Haaren, die sich im Föhn verfangen haben. Doch Jasmin sitzt weder in einer Grillbude noch beim Friseur, die 29-jährige Berlinerin liegt auf dem OP-Tisch und lässt sich die inneren Schamlippen verkleineren. Unter örtlicher Betäubung, bei vollem Bewusstsein – und völlig freiwillig.

Der Münchner Professor Prof. Dr. Stefan Gress hat regelmäßig Patientinnen wie Jasmin: Der Intimchirurg führt jede Woche bis zu fünf solcher Eingriffe durch. Woher kommt dieser Perfektionismus in einer Region, die sich die wenigsten Frauen genau angucken? Wieso sind heutzutage Modelmaße auch unter die Gürtellinie gerutscht?
Jasmin hat sich zu der Operation entschlossen, nachdem sie auf einer Sexmesse in Berlin einen Stand entdeckte, der über Intimchirurgie informierte. Bis dahin haben sie ihre „zu langen“ inneren Schamlippen gestört, wenn sie mit dem Rad durch die Hauptstadt fuhr, die Beine übereinander schlagen wollte oder Unterwäsche trug. „Dann zwickte es und kniff“, berichtet sie. Probleme beim Sex? „Ich musste vor dem Eindringen meine Schamlippen mit zwei Fingern auseinanderhalten, sonst hatte ich aber ein völlig normales Intimleben“ erzählt die alleinerziehende Mutter. Und doch stellt sie mit ihren besten Freundinnen Vergleiche an und linst in Saunen, Umkleidekabinen und Duschen verstohlen nach Referenzen, mit dem Ergebnis, dass sie ihre Vagina unschön fand.

Aber erst, als Jasmin auf die Möglichkeit der operativern Veränderung stößt, reift ihr Wunsch, sich unters Messer zu legen. Ihre Gynäkologin jedoch sieht keine medizinische Notwendigkeit für den Eingriff. Zwischen 500 und 3000 Euro kostet die OP, steht im Internet. Sie entscheidet sich für die teure Variante bei einem anerkannten Facharzt für plastische Chirurgie, der auf OPs der Intimzone spezialisiert ist. Professor Dr. Stefan Gress hat in seiner Münchner Sensualmedics-Klinik immerhin über 1800 Frauen zu einem schöneren Intimbereich verholfen. Darunter versteht er, dass die inneren Schamlippen diskret von den äußeren verdeckt werden. Jasmins Schamlippen sind seiner Messung zufolge beinahe fünf Zentimeter lang. 0,8 bis 1 Zentimeter seien das Ideal, sagt der Professor. Trotzdem fragt er bei ihr nach: „Woher wissen Sie, dass sie zu lang sind? Gibt es Vergleichsbilder? Stört es Sie psychisch? Rasieren sie sich den Genitalbereich?“ Der Arzt ist vorsichtig. „Obwohl der Wunsch nach einer Intim-OP ausschließlich von den Frauen kommt – anders als bei Brustvergrößerungen, wo der Partner gern ein Wörtchen mitredet – , erforsche ich die Beweggründe.“ Er versteht den Eingriff nicht als Veränderung, sondern als Verschönerung. Für Jasmin ist nach dem Gespräch klar: Sie will die OP. Ohne Wenn und Aber.

Am Tag des Eingriffs gibt es doch eine Menge Wenns und Abers. „Was, wenn ich danach beim Sex nichts mehr empfinde?“, fragt sich die Berlinerin. Und: „Ich bin nicht krank, lasse mich aber operieren. Ist das nicht absurd?“ Kurz vor der Klinik zittert sie nervös. Innen überlässt sie sich dann einfach dem präoperativen Prozedere. Zieht Rock und Strümpfe auch, Socken behält sie unter den Plastikfüßlingen an. Setzt sich auf den Gynäkologenstuhl. Und wartet. Auf den Mann, der die nächsten zweieinhalb Stunden zwischen ihren Beinen beschäftigt sein wird. Als Professor Gress in den kleinen OP kommt, lässt er erst einmal Musik einlegen: Astrud Gilberto, entspannte brasilianische Klänge. Jasmin fühlt sich ein bisschen wie eine Protagonistin bei „Nip/Tuck“, als der Arzt mit schwarzem Filzstift die Linie einzeichnet, entlang der er schneiden will. Das dauert fast 30 Minuten. Dann wird es ernst. Vor dem ersten Schnitt mit einem Präzisionslaser muss er ein Betäubungsmittel in die Vaginalregion spritzen. Jasmin ist schweißgebadet und zuckt noch vor der Injektion heftig zusammen. Ob die den Eingriff abbrechen will, fragt der  Schönheitschirurg mit gezückter Spritze. „Nein“, stammelt sie und beißt auf ein Handtuch, als der die Nadel in die Vulva sticht. Dreimal, viermal, dann ist alles ohne Gefühl. In Millimeterarbeit trennt der Fachmann entlang seiner wellenförmig gezeichneten Linie jetzt das ab, was als “zu lang“ empfunden wurde. Es riecht verkokelt. Und es klingt nach Schweißarbeiten in einer Autowerkstatt, wenn das radiochirurgische Skalpell durch das Fleisch der Labien britzelt. „Das ist eine meiner Lieblings-OPs“, erörtert der Arzt, der diese präzise Methode selbst entwickelt hat und damit in Europa als „Labien-Papst“ gilt. „Das ist schönes Arbeiten, völlig unhektisch“, findet er.

Der Arzt ist Beauty-Chirurg au Überzeugung: „Meine Eingriffe haben Ehen gerettet“, sagt er und meint, dass Vaginalverjüngungen den Sex zurück in Beziehungen bringen können, in denen keiner der Partner noch etwas spürt. Rein auf den Geschlechtstakt bezogen, versteht sich. Jasmin ist viel zu angespannt, um sich auf Plaudereien einzulassen. Während er von Brasilien, Oper und Bach spricht und erzählt, dass seine jüngste Patientin 14, die älteste 73 gewesen sei, versucht die 29-Jährige auf dem Tisch vor ihm, trotz der zunehmenden Krämpfe in Waden und Füßen nicht zu zappeln. Denn Zappeln bedeutet Verschneiden.

Nach 2 Stunden ist alles erledigt. Kleine blutige Fleischfetzen, die mal zu Jasmins intimsten Körperteilen gehörten, liegen auf grünem Tuch und landen im Müll. Sie darf die neue Designer-Vagina im Spiegel angucken. „Wow“, strahlt sie trotz schwarzer, sich später selbst auflösender Fäden und geschwollener Schamlippen, „das sieht ja jetzt schon schöner aus.“ Der Professor ist ebenfalls zufrieden. Damit das so bleibt, gibt er Verhaltensregeln mit auf den Weg: Drei Tage nicht duschen, eine Woche lang keine Seife, vier Wochen kein Sex, kein Fahrradfahren und Binden statt Tampons. Jasmin hält sich daran. Hat sie am ersten Tag noch so starke Schmerzen, dass sie kaum sitzen kann, ist 24 Stunden später die Euphorie zurück. Der Blick in den Spiegel macht sie selbstbewusst. Die Last des Gefühls, nicht der Norm zu entsprechen, ist verschwunden. Radfahren sei jetzt ohne Zwicken möglich, dafür spüre sie einen engen Kontakt zu ihrer Vagina. Nach einem Monat traut sich die Berlinerin wieder in die Sauna: „Stolz habe ich gezeigt, was ich vorher immer verstecken wollte!“ Auch den ersten Sex erlebt sie als positiv: „Mein Orgasmus ist intensiver, leichter, länger.“ Die Schmerzen, der Geruch, die Geräusche, die Krämpfe sind heute, zwei Monate nach der Labioplastik vergessen. So unnötig sie aus medizinischer Sicht gewesen sein mag – Jasmin hält sie für eine gute Entscheidung.