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Das Ideal der geschlossenen Muschel

FAZ
3. Februar 2008, Nr. 5 / Seite 55

Schönheit ist machbar: Der neueste Trend der ästhetischen Chirurgie nimmt den weiblichen Intimbereich ins Visier. Die Nachfrage steigt – jene nach Risiken dabei allerdings weniger.

Der Körper ist eine Baustelle, und gemacht wird, was gefällt: Mit mehr als 400 000 ästhetisch-plastischen Eingriffen jährlich sind Schönheitsoperationen in Deutschland eine Wachstumsbranche. Es wird gezogen, geschnippelt, abgesaugt und umgebaut, was Laser, Skalpell und das Geschick der Chirurgen ermöglichen. Und seit Nasenhöcker, Hängebäckchen oder Reithosenspeck nicht länger als gottgegeben hingenommen werden, hat sich die Palette des Angebots folgerichtig erweitert, hin zu einer Körperregion, die früher als Intimbereich bezeichnet wurde. Stichwort Designer-Vagina: Auffällige Schamlippen können eingezogen und versteckt werden, das Jungfernhäutchen wiederhergestellt oder der G-Punkt vergrößert werden zwecks angeblichen Lustgewinns. Am Schamhügel lässt sich Fett absaugen, eine schlaff gewordene Vagina heben. Grundsätzlich gilt: Auch unterhalb des Bauchnabels bemisst sich Attraktivität nach den bekannten Kriterien. Straff, schmal, ebenmäßig – kurz: jung soll es sein.

Speziell ihre kleinen Schamlippen (Labia minora) findet manche Frau nicht klein genug und fühlt sich beeinträchtigt, beim Sport oder beim Fahrradfahren, manche geniert sich auch in der Sauna. „Machen Sie das weg!“ heißt es dann. Oder, wie es eine norddeutsche Unternehmerin von Mitte 40 ausdrückt: „Wenn schon, denn schon. Ich habe mich liften lassen – erst oben, dann unten.“

… Professor Stefan Gress ist Ärztlicher Leiter von „Sensualmedics„, einer Münchner Klinik, die auf intimchirurgische Eingriffe aller Art spezialisiert ist. Dass es auch im weiblichen Intimbereich ein Schönheitsideal gibt, bestätigt er umgehend. „Gewünscht wird das Bild einer geschlossenen Muschel, bei der die äußeren Schamlippen voll ausgebildet sind und die inneren vollständig bedecken.“ Die Münchner Glyptothek liefere ebenso Beispiele dafür wie die Botticellische Venus. „Die Operation ist technisch nicht schwierig“, berichtet Gress. Es komme darauf an, vor dem Eingriff genau zu vermessen und anzuzeichnen. „Wir führen die Labienreduktionsplastik mit Radiowellenchirurgie bei Lokalanästhesie durch, sie dauert etwa zwei Stunden.“ Nach Entfernung von Haut und Gewebe werden die Schnittränder mit selbstauflösenden Nähten verschlossen. Ziel sei „ein ansprechendes, hübsches OP-Ergebnis“. Kostenpunkt ab 1500 Euro. Von Chirurgen selten geleugnet, von Patienten gern unterschätzt wird, dass es nach jedem Eingriff zu Blutergüssen, Schwellungen und Wundheilungsstörungen kommen kann.

Ist die Intimchirurgie ein Trend aus Amerika, der sich zeitversetzt auch in Europa seinen Markt sucht? Prof. Gress sieht die Ursache für die wachsende Nachfrage vielmehr in einem deutlich gestiegenen Körperbewusstsein, das den Wunsch nach Anti-Aging nun auf den Intimbereich erweitert habe…