Zum Inhalt springen

Die G-Manipulation

PLAYBOY
Oktober 2008

von Mareike Ludwig

Mit dem G-Punkt ist es wie mit dem Yeti, dem Bermudadreieck oder platonischen Beziehungen zwischen Mann und Frau: Es soll ihn tatsächlich geben. Wahrscheinlich sogar ziemlich sicher. Irgendwie kennt fast jeder jemanden, der jemanden kennt, der das bezeugen kann. Aber die eigene Großmutter würde man nicht darauf verwetten. Es ist der deutsche Arzt Ernst Gräfenberg, der die geheimnisvolle erogene Zone der Frau im Jahr 1944 erstmals wissenschaftlich erwähnt. Oder wie Fachleute sagen: dem die medizinische „Erstbeschreibung“ gelingt. Das klingt nach „Erstbesteigung“ nach Abenteuer und überschnappender Aufregung – zu Recht. Denn was in den kommenden Jahren folgt, ist ein euphorisches Umhergeforsche zahlreicher Wissenschaftler ohne befriedigenden Ausgang. Von vielen Vielleichts, Ungefährs und Vermutlichs wird die Diskussion dabei bestimmt: Vielleicht daumennagelgroß soll er sein, der weibliche Vergnügungspunkt, und sich wie eine weiche Walnuss anfühlen. Ungefähr fünf Zentimeter hinter dem Eingang der Vagina, zur Bauchdecke hin soll er liegen. Wird er stimuliert, soll er den Damen unglaubliche Orgasmen bescheren – vermutlich sogar multiple. Und eventuell hat ihn jede Frau. Oder gar keine. Die wissenschaftlichen Belege für jenen weiblichen Ort der Wollust, merken einige kritische Mediziner an, seien derart unzureichend, dass es sich wohl eher um eine Art gynäkologisches Ufo handle. Fest steht in diesem Schlamassel nur eines: das es für den Frauenarzt Ernst Gräfenberg unsterblichkeitstechnisch nicht besser hätte laufen können. In den 80er-Jahren taufen amerikanische Forscher das umstrittene anatomische Areal zu seinen Ehren auf den Begriff „G-Spot“, zu Deutsch: G-Punkt. Und was kann einem Mann schon Besseres passieren, als den eigenen Namen im Allerheiligsten der Frau verewigt zu wissen?

Weniger gut lief es dagegen für die Millionen von Männern, denen der Doktor sein rätselhaftes Erbe hinterließ: Mit seiner Idee vom Superorgasmus auf Knopfdruck hat Gräfenberg seinen Geschlechtsgenossen eine schwere Bürde auferlegt. Denn wenn alle Welt vom G-Punkt spricht, ist es für jeden Liebhaber eine Schande, den Weg dorthin nicht zu kennen. Dann ist eine Null, wer das Ekstase-Register seiner Angebeteten nicht ebenso routiniert bedienen kann wie die Tasten auf der Fernbedienung. Dieser Druck wird wohl noch bis zu jenem Tag auf der Männerwelt lasten, an dem das Thema G-Punkt entweder endgültig widerlegt oder medizinisch bewiesen ist. Bis dahin geben die verzweifelt Suchenden einen lukrativen Markt ab. Vom G-Punkt Vibrator über Ratgeberliteratur bis zu gemeinsamen Intimerkundungsseminaren blüht das Geschäft mit der Orgasmusoptimierung.

Der neueste Trend aus den USA ist das operative G-Spot-Tuning. Dabei wird die sensible Zone unterspritzt, um die sexuelle Erregbarkeit zu steigern. Der amerikanische Schönheitschirurg David Matlock hat dafür den Begriff „G-Shot“ geprägt. Als einer der Hauptakteure von „Dr. 90210“, einer Reality-Show über den Alltag plastischer Chirurgen in Beverly Hills, operiert er die erogenen Problemzonen live im TV und sichert sich somit eine stetig wachsende Patientinnenschar. Halb Hollywood scheint bereits von Dr. Matlock erotisiert worden zu sein. „Ich brauche nur an Sex zu denken und schon spüre ich, wie mein G-Punkt reagiert“ frohlockt eine der frisch aufgepolsterten Damen. Eine andere jauchzt: „Seit meinem G-Shot bin ich sogar sexuell erregt, wenn ich Yoga mache.“ Im fernen Deutschland praktiziert man die Dr. –Matlock-Methode schon länger. Seit 2003 führt der Münchner Schönheitschirurg Prof. Dr. Stefan Gress, der aus gegebenem Anlass im Folgenden „Professor G. heißen wird, so genannte G-Punkt Intensivierungen durch. Seine Praxis liegt, nicht minder prominent als die des amerikanischen Kollegen, in Münchens erlesenster Einkaufslage, den Fünf Höfen. Gleich um die Ecke von Dolce & Gabbana und Emporio Armani geht es zur örtlichen Niederlassung der Sensualmedics AG.

Der Weg nach oben leuchtet pink. Nicht die klassische Treppenhausfarbe, aber zum Thema passt sie. Auch das Wartezimmer erinnert eher an die Lobby eines Designerhotels als an eine Arztpraxis. In diesem Ambiente lassen sich betuchte Damen ihre Lider straffen, die Wangen liften oder eben für ab 1200 Euro den G-Punkt unterspritzen – auf doppelte Größe. Ein halbes Jahr hält das Polster mit Hyaluronsäure. Die Dauervariante setzt auf Eigenfett. Er sei ein Arzt, der Frauen glücklich macht, das könne man ruhig so schreiben, sagt Professor G. Wie sehr er das Leben seiner Patientinnen bereichert, beweisen dem Chirurgen die vielen Dankeskarten und Geschenke, die aus aller Welt bei ihm eintreffen. Eine seiner Klientinnen habe ihm sogar angeboten, sich persönlich davon zu überzeugen, wie viel mehr Vergnügen man jetzt mit ihr im Bett haben kann – „aber das war natürlich ein Spaß.“ Natürlich. Prof. G. ist ein schöner Arzt. Er trägt weiße Lederslipper ohne Socken, und fürs Foto schiebt er sich in bester Eroberer-Manier die Napoleonhand in den Kittel. Und wüsste man nicht um seine hervorragenden Referenzen, könnte man ihn für einen Charakterdarsteller halten, der einfach sehr gut einen Münchner Schönheitschirurgen spielt. Aber ein deutscher Dr. Matlock ist er nicht. Seine Klientel ist kein hyperventilierendes Hollywood-Personal. Zu ihm kommen Frauen, die lieber unerkannt bleiben möchten. So wie die 35-jährige Greta, die eigentlich anders heißt, ein Pseudonym aber für diskreter hält. Greta ist hübsch, beruflich erfolgreich, und vor drei Monaten gab ihr der Professor ein hohes G. „ Ich bin seit 14 Jahren mit meinem Mann zusammen. Da muss man sich was einfallen lassen, damit das Ganze interessant bleibt“, sagt sie. Seit dem Eingriff sei bei ihnen im Bett alles viel entspannter geworden, erzählt Greta: Ihr Mann freue sich, wie sehr sie nun der Sex begeistere. Sie komme viel leichter zum Orgasmus. Nur bei Yoga, da spürt sie nichts. Professor G. hält die atemberaubenden Post-OP-Berichte der Amerikanerinnen ohnehin für Humbug: „Eine G-Punkt-Intensivierung ist doch kein Erregungskreislauf, der sich von selbst in Gang hält“, schimpft er. „Die Frau muss schon stimuliert werden!“ Ein Viertel seiner Patientinnen stelle nach dem Eingriff sogar überhaupt keinen Lustgewinn fest, räumt Gress ein.

Wäre ja auch zu einfach gewesen. Und irgendwie schade. Sollen sei noch ein bisschen weiterforschen, die vielen G-Punkt-Gläubigen auf der ganzen Welt. Man weiß schließlich nie, was sich bei einer derart groß angelegten Expedition noch so ergibt.

Kolumbus hat auf seiner Suche nach Indien immerhin Amerika entdeckt – da wäre er sonst wahrscheinlich nie hingekommen.